Langsam treiben wir auf dem See entlang, etwas hilflos versuche ich, unser Boot zu rudern. Du hast mich verstanden, als ich vor deiner Tür stand, etwas zitternd und mit der Bitte auf den Lippen, einfach nur mal abzuhauen. Du hast das Nötigste eingepackt, und dann sind wir losgefahren. Fremde Straßen, unbekannte Autobahnen, überraschende Abfahrten. Und irgendwo ein See.
Da war es plötzlich, dieses nicht ganz sicher aussehende Boot. Uns war es egal, wir haben ganz wenig gesprochen, seit ich dich abgeholt habe. Du steigst ein, das Boot wackelt und ich folge dir, schnapp mir die Ruder und jetzt sind wir hier. Irgendwie auf einem See, irgendwohin unterwegs. Es ist warm hier draußen.

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theartistbloo (Flickr)
„Da!“
– „Hm?“
„Da, schau mal. Das ist … eine Insel, glaub ich.“
Du hast Recht und ich bin richtig erstaunt, wie gut du in dieser Dunkelheit die Umgebung untersucht hast. Ich rudere auf das ‚Land in Sicht‘ zu. Es ist gut, dass du da bist.
Als wir die Insel, die so völlig überraschend hier in diesem See auftauchte, erreichen, ziehe ich noch schnell das Boot an Land. Wir wollen nicht stranden, wollen nicht von heute an hier gefangen sein, ohne einer Ahnung, wann hier der nächste Flüchtling vorbeikommt. Ja, ich bin geflohen, weil mich, trotz allem, irgendwie alles zu erdrücken droht.
Wir setzen uns in der Nähe des Ufers hin, und ich – furchtbar aufgewühlt und vollkommen irritiert – lege meinen Kopf in deinen Schoß. Langsam streichst du mir zärtlich durch meine Haare, kraulst mir das Gesicht. Immer noch haben wir kaum etwas gesagt.
„Ich dachte nicht, dass es so kommen würde.“
– „Hm?“
„Ach, ich weiß nicht. Es … es wird mir gerade einfach irgendwie zu viel. Ich lade mir zu viel auf, obwohl ich selbst weiß, dass ich nicht dazu im Stande bin, es zu schaffen. Und nein, das ist keine chronische Selbstunterschätzung sondern meine Erfahrung aus meiner eigenen Erwartungshaltung. Ich enttäusche mich nur zu gerne selbst.“
– „Mhm.“
„Ich muss endlich mal wieder versuchen, das kleine bisschen Chaos zu beseitigen. Ich verliere den Überblick. Aber weißt du was?“
– „Hm?“
„Ich dachte nicht, dass es so weit kommen würde. Da lerne ich mich plötzlich von einer ganz neuen Seite kennen, stolpere von neuen Erfahrungen in wunderbare Erkenntnisse. Es wäre eigentlich gerade wieder das Up nach Jahren der Downs, weißt du? Und jetzt das.“
Die Sterne stolzieren am Himmelszelt entlang und manchmal treffen Wellen auf diese Insel ein.
„Aber weißt du, auch wenn es dir gerade nicht gut geht. Ich spür‘ das. Ich hab‘ mir das schon bei dem Telefonat heut‘ Nachmittag gedacht. Auch wenn es dir gerade scheiße geht. Ich kenne dich ja nun doch schon ein bisschen. Du schaffst das.“
– „Glaubst du wirklich?“
„Mhm. Du schaffst das. Du hast diese Ausdauer, die so vielen Leuten fehlt. Und ich glaub‘ auch nicht, dass es jetzt wieder bergab geht. Solche Tage hat doch jeder einmal. Auch wenn das Drumherum eigentlich perfekt ist, plötzlich fühlt man sich wieder so hilflos, wie ein Kleinkind, dass durch und durch auf die Bezugspersonen angewiesen ist.“
Ich sehe dich an. Als du diese Sätze sagtest, hast du deinen Blick auf die Weite des Sees gerichtet. Jetzt senkst du dein Gesicht zu mir, lächelst mich an, streichst mir weiter durchs Haar. Küsst mich und gibst mir so einen kleinen Teil meiner Zuversicht zurück, die mir auf dem Weg durch die vergangenen Tage wohl verloren ging.
Es wird schon irgendwie, da bin ich mir sicher. Du lässt dich zurückfallen, gibst mir deine Hand, und gemeinsam betrachten wir noch eine Zeit lang die hellen Punkte über uns. Ich robbe zu dir rüber, ganz nah an dich ran. Und küsse dir ein Danke auf deine Schulter. Für alles.