Musik. 15122010
„Es ist die Musik.“ Verdutzt siehst du mich an, als ich mir gerade eine Träne aus meinem überraschten Gesicht wische. „Es ist nur die Musik.“ Du reichst mir ein Taschentuch, aber das ist nicht nötig. Der Pulloverärmel hat sie schon aufgefangen, weggetragen, losgelöst. Und immer noch höre ich dieses eine Lied im Hintergrund, welches mich innerhalb von Sekunden austrocknet, mir mein Lächeln raubt, meine Gedanken überschlagen und mich nur hilflos zurück lässt. „Nur die Musik.“
Du verstehst nicht, kennst nicht die Geschichte. Ich habe es mir ganz einfach vorbehalten, vor allem das Gute zu erzählen, in unseren unzähligen Momenten, die wir bisher dazu genutzt haben, uns selbst vorzustellen. Ich will dir selbst jetzt nichts davon erzählen, denn es ist etwas, dass mir selbst heute noch weh tut. Etwas, das mir vor Jahren alles nahm, den Boden unter den Füßen, unzählige Träume, ein Leben. Und ich will auch kein Mitleid und bin mir sicher, dass du noch irgendwo eines übrig hast. Langsam nippe ich wieder an meinem Kaffee und versuche nicht hinzuhören und dir nicht in die Augen zu sehen. Dieses eine verdammte Lied.
„Kennst du das, wenn du etwas Wunderschönes … hm, geschenkt bekommst, es hängen so viele Erinnerungen daran, und dann passiert etwas komplett Furchtbares. Und fortan weckt allein das Ansehen dieses Dings so schreckliche Gedanken, so atemraubende Bilder. Kennst du das?“ Du überlegst. So etwas muss man nicht kennen. „Bei diesem Lied ist das so.“ Aber was sage ich: es ist nicht nur dieses Lied, es sind viel mehr, und die Dinge, die immer noch in meinem Zimmer herumliegen und dir hoffentlich nie auffallen.
„Darf ich nachfragen-?“ Nein, darfst du nicht, nein, denn ich will nicht darüber reden und es ist der Stimmungskiller schlechthin, ein absolutes No-Go. „Mhm.“ – „Willst du darüber reden? Mit mir? Du weißt, dass du mir alles erzählen kannst.“ – „Hm.“ Kann ich das? Und will ich es? Und ich beginne zu erzählen, und verpacke es in eine überraschende Sprache, beinahe so, als wäre es eine Geschichte, etwas Fantasie, Literatur und nicht die harte Realität, die Vergangenheit und die Gegenwart. Du lauscht meinen Worten, wischt hie und da etwas Flüssiges aus meinem Gesicht, setzt immer mal wieder dein geschocktes Gesicht auf und nickst.
„Und deswegen das gerade. Das mit dem Lied und so.“ Ich erwarte mir deine Hand auf meiner Schulter oder meinem Kopf, ein paar bemitleidende Worte, das Angebot von Zeit, von Gesprächen, von Hilfe. Aber du rettest dich so wundervoll aus der Misere, dein Blick scheint … gebrochen, deine Stimme etwas weinerlich, meinst nur ein „Oh.“ und zündest dir die nächste Zigarette an. So ist es gut.